13. AHV-Rente – das Abstimmungsmotiv «soziale Gerechtigkeit» sticht
Eine Auswertung zur angenommenen Abstimmung über die 13. AHV-Rente zeigt: Nicht nur Eigeninteressen prägten das Ergebnis. Ebenso wirkten sich übergeordnete moralische Vorstellungen auf den Stimmentscheid aus – etwa, dass Armut aus sozialer Ungerechtigkeit entsteht. Der Forschungsansatz beleuchtet somit den sozialen Kitt in der Schweiz neu.
Im März 2024 hat die Schweiz die Initiative für eine 13. AHV-Rente angenommen. Erst zum zweiten Mal hat das Stimmvolk auf eidgenössischer Ebene eine Initiative aus gewerkschaftlichen Kreisen gutgeheissen. Schnell wurde nach der Abstimmung das Ergebnis mit persönlichen Interessen und direkter Betroffenheit erklärt. Rentner:innen und Personen mit kleinem Einkommen hatten die Initiative massgeblich unterstützt.
Moralische Einstellungen wirken mit
Die Abstimmungsforschung im Rahmen des Projekts DDS21 (siehe Kasten) setzt anders an: Sie untersucht die moralische Dimension der Meinungsbildung. Anders formuliert: Welche Vorstellung(en) von Gerechtigkeit gibt es in einer Gesellschaft und wie wirkt sich diese auf das Abstimmungsergebnis aus? Lionel Marquis von der Universität Lausanne und Mitautor der Auswertung ordnet den Forschungsansatz so ein: «In der internationalen Forschung werden moralische Einstellungen regelmässig untersucht. Damit sollen politische Entscheidungen beleuchtet werden, die aus purem Eigeninteresse nicht erklärbar sind – ich denke da etwa an die Brexit-Abstimmung. In der Schweiz hingegen sind die politischen Auswirkungen von moralischen Einstellungen noch kaum ein Thema».
Wer die Welt ungerecht findet, stimmte eher ja
Die Auswertung macht deutlich, dass der Stimmentscheid zur 13. Rente von mehreren moralischen Einstellungen abhing – von den Wahrnehmungen, dass «die Welt gerecht» (oder ungerecht) ist, dass das bestehende System erhaltenswert ist (oder nicht) und dass Armut auf soziale Ungerechtigkeit zurückzuführen ist (oder nicht). In der Tendenz stimmten Personen, die einem auf Ungerechtigkeiten beruhenden «Interpretationsrahmen» anhängen, der 13. Rente zu, im Gegensatz zu Personen, die von der Legitimität des sozialen Systems überzeugt sind. «In der Schweiz wird oft thematisiert, dass Eigennutz und politisches Vertrauen in die Regierung oder das Parlament Abstimmungsentscheide beeinflussen.» so Lionel Marquis, aber: «Man muss anerkennen, dass auch Haltungen zum sozialen System bedeutend sind. Für unsere Gesellschaft sind diese Einstellungen extrem wichtig. Wir vermuten, dass Gerechtigkeitsfragen immer häufiger eine Rolle bei Abstimmungen und Wahlen spielen werden. Im heutigen politischen Umfeld mit steigenden Lebenskosten und sinkenden Staatseinnahmen, braucht es eine erneuerte Solidarität zwischen den Generationen und sozialen Schichten, um grossen Herausforderungen wie etwa dem Klimawandel zu begegnen».
Das Projekt «Direkte Demokratie Schweiz im 21. Jahrhundert (DDS21)» Seit 2023 setzt sich das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierte Forschungsprojekt Direkte Demokratie Schweiz im 21. Jahrhundert (DDS21) zum Ziel, die Gründe der Beteiligung und der Stimmungsentscheide der Schweizer Bürgerinnen und Bürger nach jeder eidgenössischen Volksabstimmung zu untersuchen. Unter der Leitung des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDA), das der Universität Zürich angegliedert ist, vereint DDS21 Mitglieder der acht universitären politikwissenschaftlichen Institute der Schweiz sowie des Liechtenstein-Instituts. Die in diesem Artikel verwendeten Daten stammen aus dem Langfristpanel von DDS21 und wurden von FORS erhoben. Diese Längsschnittuntersuchung umfasst bisher drei Wellen zu den Volksabstimmungen von Juni 2023 und März 2024 sowie zu den eidgenössischen Wahlen im Oktober 2023. Die Analysen wurden anhand ungewichteter Daten durchgeführt. |
Weiterführende Ressourcen
Blogbeitrag auf der Plattform DeFacto: www.defacto.expert (Deutsch, Französisch, Italienisch)
Projektwebseite: www.dds21.uzh.ch/de
Allgemeine Auskünfte zum Projekt
Prof. Dr. Daniel Kübler, Zentrum für Demokratie Aarau
daniel.kuebler@zda.uzh.ch, 078 815 67 60
Rückfragen Auswertungsergebnisse
Jessy Sparer, Universität Lausanne, Jessy.Sparer@unil.ch
Lionel Marquis, Universität Lausanne, Lionel.Marquis@unil.ch
Über das ZDA
Das Zentrum für Demokratie Aarau ist ein wissenschaftliches Forschungszentrum, das von der Universität Zürich, der Fachhochschule Nordwestschweiz, vom Kanton Aargau und von der Stadt Aarau getragen wird. Es betreibt Grundlagenforschung und befasst sich mit aktuellen Fragen zur Demokratie – regional, in der Schweiz und weltweit. www.zdaarau.ch