Abstimmung verloren – Ist das höhere Budget der Gegenseite der Grund?
Wer für eine Abstimmungskampagne viel Geld ausgibt, wird stärker wahrgenommen. Nimmt man aber die subjektiv wahrgenommene Intensität einer Kampagne für Ja- oder Nein-Stimmende unter die Lupe, zeigt sich eine Verzerrung: Das Kampagnenbudget der Gegenseite wird zu hoch eingeschätzt. Wie es dazu kommt, zeigen Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt des Zentrums für Demokratie Aarau in Zusammenarbeit mit Année Politique Suisse.
Plakate und Inserate versuchen vor Abstimmungen die Schweizer Bürger:innen von Ja- oder Nein-Parolen zu den Vorlagen zu überzeugen. Doch wie nehmen Bürger:innen die Stärke und somit Wirksamkeit einer Abstimmungskampagne zu einem Thema war? Und enspricht diese sujektive Einschätzung dem objektiv messbaren Werbeaufwand? Das untersucht eine Auswertung im Rahmen des Forschungsprojekts «Direkte Demokratie Schweiz im 21. Jahrhunder (DDS21)» (siehe Box).
Budget schafft wirksame Kampagnen
Befragt man Bürger:innen, wie gut Abstimmungskampagnen wirken, stimmt ihre Einschätzung recht gut mit den messbaren Kriterien «Werbeausgaben» und «Inserateaufkommen» überein. Die Autoren der Auswertung halten fest: «Die Einschätzung der Intensität der Kampagnen kurz vor den Abstimmungen im März bzw. im Juni gleicht der messbaren tatsächlichen Intensität. In beiden Fällen schätzen die Befragten jene Werbekampagnen am intensivsten ein, die auch tatsächlich die grössten Budgets, bzw. das stärkste Inseratevolumen aufweisen (13. AHV-Rente bzw. Stromgesetz).»
Wenn man meint, der Gegner habe mehr Geld
Differenziert man jedoch die Wahrnehmung zwischen dem Ja- und Nein-Lager, tritt ein durchaus interessanterer Effekt zu Tage: die Überschätzung der Gegenseite. Befragt man die Bürger:innen, ob ihrer Meinung nach stärker für eine der Seiten geworben worden wurde, stimmen die objektiven Messgrössen weniger gut mit der subjektiven Wahrnehmung überein. Wer eine Vorlage angenommen hatte, schätzte in der Regel ein, dass das Nein-Lager eine intensivere Kampagne führte – und umgekehrt. Der eigene Abstimmungsentscheid beeinflusste somit die Wahrnehmung, wie stark die Kampagne der Gegenseite wirkt.
Eine mögliche Erklärung dieses Effekts könnte sein, dass aus psychologischer Perspektive die unterschiedliche Formulierung des Inhalts eine andere Bewertung zur Folge hatte (Framing-Bias). Interessanterweise greift ein ähnlicher Effekt unabhängig davon, ob ein Lager eine Abstimmung gewinnt oder verliert.
Opfer oder Outsider?
Stimmt eine Person Ja und die Vorlage wird abgelehnt, führten dies die Befragten auf eine vermeintliche finanzielle Übermacht des gegnerischen Lagers zurück. Sich selbst als «Opfer» des höheren Budgets der Gegenseite zu sehen, kann ein Weg sein, um den «Stress» einer Abstimmungsniederlage zu verringern.
Abb. 1: Wie wird die Intensität von politischer Werbung bei Ja- und Nein-Stimmenden zur Abstimmungsvorlage 13. AHV-Rente beurteilt?
Wird die Vorlage angenommen, greift eher ein Outsider-Effekt: Auch dann gehen die Befürworter:innen (fälschlicherweise) davon aus, dass das gegnerische Lager mehr Geld zur Verfügung hatte als das eigene. Trotz der (vermeintlichen) Kampagnenübermacht der Gegenseite hat letztlich die eigene Stimme obsiegt. Die Zufriedenheit, die sich dabei einstellt, ist im Sinne von «Coping» ebenfalls Stress reduzierend.
Die Autoren der Auswertung halten zusammenfassend fest: «Auch wenn es sehr naheliegend scheint, dass die Intensität von Abstimmungskampagnen für den Ausgang direktdemokratischer Entscheidungen von Bedeutung ist, wissen wir erstaunlich wenig über die Wirkung politischer Werbung auf einzelne Individuen. Unsere Befunde legen nahe, dass Bürgerinnen und Bürger zwar ein gutes Gespür haben für die Intensität politischer Kampagnen im Allgemeinen, dass sie dieses aber trügt, wenn es darum geht, die Werbemacht des jeweiligen Ja- bzw. Nein-Lagers zu unterscheiden.»
Das Projekt «Direkte Demokratie Schweiz im 21. Jahrhundert (DDS21)» Seit 2023 setzt sich das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierte Forschungsprojekt Direkte Demokratie Schweiz im 21. Jahrhundert (DDS21) zum Ziel, die Gründe der Beteiligung und der Stimmentscheide der Schweizer Bürgerinnen und Bürger nach jeder eidgenössischen Volksabstimmung zu untersuchen. Unter der Leitung des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDA), das der Universität Zürich angegliedert ist, vereint DDS21 Mitglieder der acht universitären politikwissenschaftlichen Institute der Schweiz sowie des Liechtenstein-Instituts. Die in diesem Artikel verwendeten Daten stammen aus Erhebungen im Nachgang zu den Abstimmungen vom 3. März 2024 und 9. Juni 2024, in denen jeweils mehr als 1000 Personen befragt wurden nach ihrem Empfinden zur Intensität der Abstimmungskampagnen für die fünf Vorlagen: 13. AHV-Rente, Renten-Initiative, Prämien-Entlastungs-Initiative, Stromgesetz, Kostenbremse-Initiative, Stopp Impfpflicht. Verglichen wurden die Werbeausgaben und die Inserateaufkommen pro Initiative mit der eingeschätzten Intensität der Kampagne. |
Weiterführende Ressourcen
Blogbeitrag auf der Plattform DeFacto:
Deutsch, Französisch, Italienisch
Projektwebseite: https://www.dds21.uzh.ch/de.html
Rückfragen
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marc.buehlmann@unibe.ch, 079 354 88 79
Prof. Dr. Isabelle Stadelmann-Steffen, Institut für Politikwissenschaft Bern
isabelle.stadelmann@unibe.ch, 031 684 83 55
Prof. Dr. Daniel Kübler, Zentrum für Demokratie Aarau
daniel.kuebler@zda.uzh.ch, 078 815 67 60
Über das ZDA
Das Zentrum für Demokratie Aarau ist ein wissenschaftliches Forschungszentrum, das von der Universität Zürich, der Fachhochschule Nordwestschweiz, vom Kanton Aargau und von der Stadt Aarau getragen wird. Es betreibt Grundlagenforschung und befasst sich mit aktuellen Fragen zur Demokratie – regional, in der Schweiz und weltweit. www.zdaarau.ch
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