Drohungen, Ausraster, Tätlichkeiten – Gewalt gegen Politiker:innen in Schweizer Städten
Die Mitglieder der Parlamente der Schweizer Städte erleben immer wieder Aggressionen. Das beeinflusst ihre Zufriedenheit mit dem Amt, wie der neue Studienbericht des Zentrums für Demokratie Aarau zeigt. Und er macht deutlich, warum manche gar aus der Politik aussteigen.
Immer wieder berichteten Medien jüngst von Gewalt an Politiker:innen in der Schweiz, auch in Zusammenhang mit dem Attentat auf Donald Trump. So titelt etwa watson.ch am 14.07.2024 «So gefährlich leben Politikerinnen und Politiker in der Schweiz» oder der Tagesanzeiger rund ein Jahr vorher am 15.08.2023 «`Es ist so viel Hass da` – 5 Politikerinnen und Politiker erzählen, wie sie bedroht werden». Nun zeigt der Studienbericht des Zentrums für Demokratie Aarau erstmals systematisch das Ausmass von Aggressionen gegen Politiker:innen in Gemeindeparlamenten auf.
Neuer Blick auf Gewalt in der Gemeindepolitik
Die bisherige Forschung zu Gewalt in der Gemeinde konzentrierte sich vor allem auf die Exekutiven. Die nun erschienene Studie (siehe Box) wirft mit ihrer Fragestellung einen neuen Blick auf das Thema:
- Wie zufrieden sind die Parlamentarier:innen in den Schweizer Städten mit ihrem Mandat?
- Wie stark sind sie von Aggressionen und Gewalt betroffen?
- Welches sind die wichtigsten Gründe für lokale Parlamentsmitglieder aus der Politik auszusteigen?
Warum dies wichtig ist, erklärt Stefan Kalberer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Demokratie Aarau so: «Parlamente sind der zentrale Ort einer Demokratie. Es wird diskutiert, um Kompromisse gerungen und Entscheidungen werden getroffen. Leider wissen wir immer noch sehr wenig über die Arbeitsweise lokaler Parlamente in der Schweiz. Hier setzt unser Studienbericht an und möchte Klarheit darüber schaffen, vor welchen Herausforderungen Gemeindeparlamentarierinnen und -parlamentarier stehen.»
Verbale Gewalt boomt
Grundsätzlich sind die Parlamentarier:innen zufrieden mit ihrem Mandat, insbesondere dann, wenn sie sich als einflussreich wahrnehmen. Demgegenüber stehen jedoch Aggressionserfahrungen, welche die Zufriedenheit massiv beeinflussen:
«Über ein Drittel der Befragten geben an, in den letzten zwölf Monaten verbale Gewalt erfahren zu haben. 6.4 Prozent geben an, dass in den letzten zwölf Monaten ihr Eigentum attackiert worden sei und drei Prozent sind physisch angegangen worden.» (Studienbericht, ZDA, Seite 19.). Gewalt erfahren die Politiker:innen auch im digitalen Raum zum Beispiel in den sozialen Medien oder durch Online-Falschinformationen wie die folgende Grafik zeigt.
Abb. 1: Welche Art von Aggression haben Stadtparlamentarier:innen in den letzten zwölf Monaten erlebt?
Auch bezüglich der Landesteile zeigen sich Unterschiede. So ist in der Deutschschweiz Gewalt gegen Personen oder deren Eigentum weiter verbreitet als in den anderen Landesteilen. Dafür kommt verbale Gewalt in der lateinischen Schweiz prozentual mehr vor. Auch sind Frauen von verbaler Gewalt wie auch von Sachbeschädigungen prozentual stärker betroffen. Zudem sind Parlamentsmitglieder, die sich auf der rechten Seite des links-rechts Spektrums verorten, stärker von physischer Gewalt betroffen.
Das hat Konsequenzen für die Demokratie, so Daniel Kübler, Direktionsmitglied am Zentrum für Demokratie Aarau: «Auch Politikerinnen und Politiker auf Gemeindeebene sehen sich zunehmend Anfeindungen ausgesetzt. Betrachtet man Gemeinden als `Schule der Demokratie`, ist dies eine schlechte Nachricht. Aggressionen und Gewalt gegen Amtsträger:innen sind inakzeptabel. Die Kleinräumigkeit einer Gemeinde wäre ideal geeignet, Vorurteile gegenüber politischen Widersacherinnen und Widersachern abzubauen und eine friedliche demokratische Debattenkultur zu leben.»
Warum Stadtparlamentarier:innen den Hut nehmen
Diese Gewalterfahrungen beeinflussen, wie sich Parlamentsmitglieder verhalten. Sie verwenden soziale Medien anders und über 30 Prozent der Befragten berichtet von einem Einfluss auf die eigene Parlamentsarbeit. Aggressions- und Gewalterfahrung im Amt kann für lokale Parlamentarier:innen gar ein Grund sein, das Mandat aufzugeben. Dabei geben weibliche Parlamentsmitglieder im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen häufiger an, dass die erfahrene Gewalt einen entscheidenden Einfluss auf ihren Rücktrittsentscheid hatte. Weitere Gründe für einen Ausstieg aus dem Mandat sind, dass sie ein höheres Amt anstreben, ihre Pflicht als erfüllt ansehen oder der Zeitaufwand zu hoch ist.
Daten und Methode Die Daten des ZDA-Studienberichts «Befragung der Mitglieder städtischer Parlamente in der Schweiz» basieren auf einer europaweiten Befragung von städtischen Parlamentsmitgliedern. Für den vorliegenden Bericht wurden 4599 Parlamentsmitglieder aus allen Landesteilen eingeladen, an der Befragung teilgenommen haben 1009 Personen. Die Befragung dauerte vom 29. September bis am 5. Dezember 2023. |
Der Studienbericht
Kontakt
Prof. Dr. Daniel Kübler, Direktionsmitglied, Zentrum für Demokratie Aarau
daniel.kuebler@zda.uzh.ch, 078 815 67 60
Stefan Kalberer, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Zentrum für Demokratie Aarau
stefan.kalberer@zda.uzh.ch, 079 863 80 73
Über das ZDA
Das Zentrum für Demokratie Aarau ist ein wissenschaftliches Forschungszentrum, das von der Universität Zürich, der Fachhochschule Nordwestschweiz, vom Kanton Aargau und von der Stadt Aarau getragen wird. Es betreibt Grundlagenforschung und befasst sich mit aktuellen Fragen zur Demokratie – regional, in der Schweiz und weltweit. www.zdaarau.ch