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Politischer Konsum gewinnt in der Schweiz an Bedeutung

Am Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) wurde das politische Konsumverhalten in der Schweiz erstmals empirisch untersucht. Als erstes wurde mittels einer repräsentativen Umfrage das bewusste Vermeiden (Boykott) sowie das Kaufen (Buykott) von Produkten erhoben. In einer zweiten Umfrage wurden vegan lebende Personen über ihren Lebensstil befragt. Dabei zeigte sich, dass eine deutliche Mehrheit derjenigen, die regelmässig Produkte bewusst meiden und/oder kaufen, dies aus politischen, ethischen, sozialen und ökologischen Motiven tun. Diese Erkenntnis ist auch bei Veganern zu beobachten, wobei bei diesen Personen ethische Motive deutlich überwiegen.

Anhand dieser Umfragedaten wird deutlich, dass Boykott, Buykott und Veganismus überwiegend politisch motiviert sind und als relevante Formen der politischen Beteiligung verstanden werden können. Diese ersten empirischen Beobachtungen zum politischen Konsum zeigen darüber hinaus, dass das politische Konsumverhalten im Vergleich zu anderen Partizipationsformen stark vertreten ist. Aktuelle Analysen der politischen Partizipation sollten daher solche nicht-institutionalisierten und individualisierten Formen des politischen Engagements berücksichtigen, um ein realistisches und umfassendes Bild der sich verändernden politischen Beteiligungsmuster in der Schweiz zu zeichnen.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie

  • Von den befragten Personen der repräsentativen Umfrage gaben 59% an, regelmässig (d.h. mindestens einmal pro Monat) gelabelte Produkte bewusst konventionellen Produkten vorzuziehen (Buykott). Die überwiegende Mehrheit davon (69%) führte regionale, soziale, ethische und ökologische Überlegungen als wichtigsten Grund für dieses Kaufverhalten an; die Produktherkunft wurde dabei als häufigster Grund für die bewusste Produktwahl genannt, gefolgt von Bedenken bezüglichMenschenrechten sowie Tierwohl. Berücksichtigt man zusätzlich diese im Grossen und Ganzen «politische» Motive, können 41% der Befragten als politische Buykotter erfasst werden.
  • Mit 36% gaben deutlich weniger Personen an, regelmässig Produkte zu meiden (Boykott). Davon gaben jedoch 75% und somit vergleichsweise deutlich mehr Personen politische Motive als wichtigsten Grund für dieses Kaufverhalten an. Hier dominierten die Bedenken bezüglich Tierwohl, Umweltschutz sowie Menschenrechte. Somit können 26% der Befragten als politische Boykotter identifiziert werden.
  • Auf der anderen Seite macht die empirische Analyse deutlich, dass nicht alle Befragten aus politischen Beweggründen ein bewusstes Kaufverhalten ausüben. Dies trifft auf 33% der Buykotter und gut ein Viertel der Boykotter zu, für welche vor allem die Pflege der eigenen Gesundheit, aber auch das Preis-Leistungsverhältnis eine Rolle spielt.
  • Von den vegan lebenden Personen, die an der Umfrage über den veganen Lebensstil in der Schweiz teilgenommen haben, gaben 89% an, hauptsächlich aufgrund ethischer, ökologischer und sozialer Überlegungen tierische Produkte zu meiden. Der mit Abstand wichtigste Grund für die Entscheidung, vegan zu leben, ist hier die Vermeidung von Tierleid sowie Tiertötung (71%).
  • Für den Entscheid, vegan zu leben, spielt ebenfalls die Pflege der Gesundheit eine Rolle. Dieser Grund wurde von 11% der befragten Veganer als wichtigstes Motiv genannt.
  • Insgesamt zeigt sich, dass rund 50% der Befragten aus politischen Motiven Produkte bewusst kaufen und/oder meiden, sowie 89% der Veganer aus politischen Motiven tierische Produkte meiden, und somit als politische Konsumenten bezeichnet werden können. Der politische Konsum stellt somit eine relevante Form der unkonventionellen politischen Partizipation dar.
  • Frauen neigen signifikant häufiger dazu als Männer, Produkte aus politischen Gründen zu boykottieren und bewusst zu kaufen. Die Daten zeigen gleichzeitig, dass dies nicht allein darauf zurückgeführt werden kann, dass Frauen häufiger einkaufen gehen. Es wurden starke Hinweise gefunden, dass der Geschlechtsunterschied zusätzlich durch geschlechtsspezifische Unterschiede in der Persönlichkeit erklärt werden können.

Handlungsempfehlungen der Studie

  • Aktuelle Analysen der politischen Partizipation sollten nicht-institutionalisierte und individualisierte Formen des politischen Engagements, wie z.B. das politisch motivierte Konsumverhalten, berücksichtigen, um ein realistisches und umfassendes Bild der sich verändernden politischen Beteiligungsmuster in der Schweiz zu zeichnen.
  • Eine aussagekräftige empirische Analyse des politischen Konsums als genuine Form der politischen Partizipation erfordert jedoch innovative Messinstrumente, die die Motivation des Kaufverhaltens berücksichtigen.

Details zu den Daten

Im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Forschungsprojektes «Was ist politisch am Konsumverhalten? Politischer Konsum in der Schweiz» wurde das Konsumverhalten der Schweizer Wohnbevölkerung untersucht. Um den politischen Konsum adäquat und umfassend zu analysieren, wurden zwei standardisierte Erhebungsinstrumente entwickelt. Das erste Erhebungsinstrument wurde konstruiert, um die häufigsten Formen des politischen Konsums, nämlich Boykotte und Buykotte (d.h. die bewusste Auswahl von Produkten aufgrund von Labeling-Systemen, z.B. Bio oder Fairtrade), in der deutsch- und französischsprachigen Bevölkerung der Schweiz zu messen. Mittels einer vom Bundesamt für Statistik gezogenen Zufallsstichprobe aus der Wohnbevölkerung ab 16 Jahren wurde die Online-Befragung vom Forschungsinstitut M.I.S. Trend im Auftrag des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDA) und der Universität Zürich im Jahr 2017 durchgeführt. Insgesamt füllten 3’694 ausgewählte Personen die Umfrage aus, was einer Rücklaufquote von 46% entspricht.

Das zweite Erhebungsinstrument zielte darauf ab, den veganen Lebensstil in der Schweiz zu erfassen, eine weniger verbreitete Form des politischen Konsums, die jedoch zunehmend an Popularität und Interesse gewinnt. Um eine ausreichend grosse Gruppe von Umfrageteilnehmern zu erhalten, wurde eine Kombination aus zwei Stichprobenmethoden gewählt, nämlich eine ortsbezogene und die Schneeballmethode. Insgesamt 27 Rekrutierungsorte wurden ausgewählt, wie z. B. vegane Organisationen, Tierrechtsorganisationen, Restaurants, die veganes Essen anbieten, oder vegane Veranstaltungen. Potenzielle Teilnehmende wurden mittels speziell gestalteter Flyer rekrutiert, die den Link und den QR-Code für den anonymen Zugang zur Online-Umfrage enthielten. Die Online-Umfrage wurde mit dem Befragungstool Qualtrics im Jahr 2018 durchgeführt. Insgesamt wurden 648 auswertbare Umfrageteilnahmen erzielt.

Weitere Informationen

Deborah Kalte: deborah.kalte@uzh.ch

Studienoutput

Kalte, Deborah (2021), Political Consumerism as Unconventional Political Participation: An Analysis of Boycotts, Buycotts, Lifestyle and Discursive Political Consumerism in Switzerland and Beyond, Diss. Phil. Fak. UZH.

Gundelach, Birte und Kalte, Deborah (2021), Explaining the Reversed Gender Gap in Political Consumerism: Personality Traits as Significant Mediators. Swiss Polit Sci Rev, 27, 41-60. https://doi.org/10.1111/spsr.12429

Kalte, Deborah (2020), Political Veganism: An Empirical Analysis of Vegans’ Motives, Aims, and Political Engagement. Political Studies. https://doi.org/10.1177/0032321720930179
Ackermann, Kathrin und Birte Gundelach (2020), Psychological roots of political consumerism: Personality traits and participation in boycott and buycott. International Political Science Review. doi:10.1177/0192512120959683

Gundelach, Birte (2020), Political Consumerism as a Form of Political Participation: Challenges and Potentials of Empirical Measurement. Soc Indic Res 151, 309–327. https://doi.org/10.1007/s11205-020-02371-2

Gundelach, Birte (2020), Political consumerism: A comparative analysis of established and developing democracies. International Political Science Review, 41(2), 159-173. https://doi.org/10.1177/0192512118819211

Gundelach, Birte und Kalte, Deborah (2019), Der politische Konsum als Form politischer Partizipation – empirische Beobachtungen für die Schweiz, in Glaser Andreas, Waldis Monika, Kübler Daniel (ed.), Brennpunkt Demokratie – 10 Jahre Zentrum für Demokratie Aarau – 10 Jahre Demokratieforschung im Aargau (p. 106–140). Baden: Hier und Jetzt.

Kalte, Deborah (2019), Der vegane Lebensstil in der Schweiz. Kurzbericht zur Umfrage über den veganen Lebensstil, Zentrum für Demokratie Aarau, Aarau. Studienbericht ZDA 15 Swissvegansurvey